Erst Ende vergangenen Jahres hatte ich mich darüber beklagt, im Netz würde oft sehr pauschalisierend und undifferenziert geschrieben. Ein Beispiel dafür hat jetzt gerade wieder der von mir geschätzte Nico Lumma publiziert. In seinem Artikel »Die Sache mit den Unternehmensblogs« schreibt er: »Überhaupt halte ich Unternehmensblogs für eines der größten Irrtümer der Kommunikationsbranche der letzten 10 Jahre. Niemanden interessiert ein Unternehmensblog. Von einigen Ausnahmen mal abgesehen. Ein paar Journalisten lesen sie, ein paar Kunden, ein paar Marktbegleiter.« 

Ja, ich weiß, der Nico provoziert und polarisiert damit gerne. Und oft lese ich das auch mit großem Vergnügen. Aber in diesem Fall reizt mich sein Artikel doch zu Widerspruch. Seine undifferenzierte und überzogene Sicht auf das Thema halte ich für schädlich. Mit anderen Worten: Der Lumma macht mir noch das Internet kaputt!

Natürlich steckt auch ein bisschen Wahrheit in dem, was Nico sagt: Viele Blogs begeistern ihre Leser nur mäßig. Auf vielen ist wenig bis nichts los. Aber das gilt doch bitte nicht nur für Unternehmensblogs. Das gilt für die Gesamtheit aller Blogs in Deutschland.

Ad 1: Der deutsche Mediennutzer ist gut bis überversorgt

Die Bloglandschaft in Deutschland hat es nicht leicht. Fast zu allen Themen gibt es umfassende und gute journalistische Inhalte, es gibt eine Reihe sehr informativer Webseiten von Institutionen, Verbänden etc., man findet jede Menge interessante Portale und es gibt viele sehr gut gemacht und informationsorientierte Unternehmensseiten. Da haben es Blogs nicht leicht. Niemand hat auf sie gewartet. Niemand braucht sie – bis auf Ausnahmen – dringend, um einen Informationsbedarf zu decken. Heißt das also, wir brauchen keine Blogs?

Ad 2: Vielfalt und Long-Tail-Angebote sind die Basis des digitalen Wandels

Trotz des großen »Bestandsangebots« bin ich froh und dankbar, dass sich Privatpersonen und Unternehmen dennoch die Mühe machen, ein Blog zu etablieren und zu betreuen. Blogs haben die Medien- und Informationsangebote im Netz enorm bereichert (Was täte ich ohne »Lummaland«?). Sie bieten neue Blickwinkel, sie wirken frischer und weniger steif als »klassische Informationsangebote«, sind oft emotional und persönlich, nehmen sich mehr heraus. Vor allem aber: Sie bieten einen Rückkanal! Ich kann reagieren, kommentieren, diskutieren. Und wenn ich das nicht möchte (was für die Mehrheit gilt), dann kann ich die Reaktionen anderer beobachten und mitlesen. Klar: Je fragmentierter der Markt, je spitzer die Themen, desto weniger Zulauf bekommt das einzelne Angebot. Aber wer entscheidet denn, ab wann ein Blog »sich lohnt« und wann er ein »Irrtum« ist? Doch eigentlich nur der, der ihn schreibt. Und für diese Person oder dieses Unternehmen mögen auch wenige Leser ausreichen, denn der Nutzen liegt meist ganz woanders.

Ad 3: Unternehmensblogs müssen keinen Spaß machen

Nico Lumma kritisiert, Unternehmensblogs seien oftmals langweilig, machten keinen Spaß und interessierten daher auch niemanden. Er ist der Ansicht, auf Corporate Blogs „muss es fetzen, da müssen Dinge passieren, die man nicht erwartet.“ Ich glaube, das stimmt nicht. Ein Beispiel: Unser Kunde GOTHAER Versicherung scheut es nicht, mit auf den ersten Blick trockenen Themen zu erscheinen. Wichtig ist den Schreibern aber eine spannende Geschichte um das Thema herum und dies insbesondere dann, wenn das Thema auf den ersten Blick nicht »fetzt«. So hat das Unternehmen auf gothaer2know eine Debatte zum Thema: „Ist die Rente sicher?“ angestoßen. Das „fetzte“ zwar nicht zwangsläufig, führte aber dennoch zu einer guten Beteiligung bei den Bloglesern – wie übrigens so häufig auf diesem Blog. Denn selbst wenn das Thema Rente „keinen Spaß macht“, so ist es doch umso mehr relevant. Und die Aufgabe der Blogger besteht dann darin, ein relevantes Thema spannend zu gestalten. Je besser dies gelingt, desto höher der Nutzen und oft manchmal auch der Spaßfaktor. Ich finde es toll und äußerst lobenswert, dass eine Versicherung das Thema auf dem eigenen Blog zur Diskussion stellt. Von einem Versicherer erwarte ich nämlich nicht, dass er mich „bespaßt“ und es auf seinem Blog „fetzt“. Ich erwarte dort sachlich aufbereitete (gerne in frischem Ton statt in Marketingsprech erzählte) Informationen oder gesellschaftlich relevante Themen, und ich erwarte einen Rückkanal. Und diesen macht die Gothaer in voller Breite auf, auch wenn das Angebot zur Diskussion mal mehr und mal weniger genutzt wird. Unternehmensblogs dürfen auch mal „langweilig“ sein, wenn langweilig bedeutet, sich als Leser mit gesellschaftspolitisch wichtigen Themen beschäftigen zu müssen. So sind Unternehmensblogs ein weiterführendes Informations- und Serviceangebot, was ich dann nutze, wenn ich es brauche. Spaß habe ich in der Regel ohnehin woanders.

Ad 4: Die Normalverteilung greift überall – auch bei Blogs

Es ist schon richtig: Das Groß der Blogs (private und Corporate Blogs) sind nicht sonderlich gut gemacht. Aber das ist halt die Sache mit der Normalverteilung. Jeder kann mitmachen, und das bedeutet, dass die Mehrheit das Ganze so mittelgut hinbekommt. Dann gibt es einige Ausreißer nach unten und genauso wenige Ausreißer nach oben. Das Mittelfeld ist natürlich auch nur „mittel« erfolgreich. Aber dass es viel Schlechtes im Angebot gibt, stellt das Angebot selbst doch nicht in Frage. Ich halte ja auch die Erfindung des Fernsehens nicht für einen Irrtum, weil ich die meisten Sendungen nur „mittel toll« finde, oder die Erfindung der Musik-CD, weil ich die meisten davon nicht hören möchte. Oder möchte Nico vielleicht eine Zensur einberufen, die die guten von den schlechten Blogs trennt und die schlechten dann abschaltet? (Ja doch, ich höre schon auf!)

Ad 5: Unternehmen sind nicht blöd – jedenfalls nicht alle

Ich gehe fest davon aus, dass Nico die Berater überschätzt, wenn er glaubt, die „Erfindung« und Verbreitung der Unternehmensblogs sei nur auf (irrtumsbasierte) Beratung von Social-Media-Experten zurückzuführen. Denn das glaube ich nicht. Wenn die Unternehmen in der Bereitstellung eines Blogs keinen Nutzen sähen oder sämtlich keine Leser hätten, dann würden sie die Projekte nicht machen bzw. wieder einstellen. Ich glaube, der Nutzen für die Unternehmen ist auch bei »mittel erfolgreichen« Blogs (im Blick auf Leserzahlen) vielfältig. So kann man Mitarbeiter-Reputation deutlich machen, kann an starren Online-Auftritten vorbei »mal eben« eine Information oder Geschichte für die Kunden bereitstellen, kann Meinung zeigen oder auch mal Diskussionen führen. Klar: Keine Leser und keine Interaktion sind sicher nie gewollt. Aber durch die »Reichweitendecke« gehen müssen die Blogs oftmals eben auch nicht, um ihren Sinn zu haben. Sie sind ein Angebot. Und wen es interessiert, der findet es.

Ich kann mich nur wiederholen: Die Bloglandschaft in Deutschland tot zu reden, ist gefährlich für die sich gerade entwickelnde Vielfalt, in der für mich auch Unternehmensblogs ihren festen Platz haben. Ich fände es äußerst schade, wenn das nächste Blogprojekt irgendeines engagierten Mitarbeiters in Deutschland daran scheitert, dass der Chef sagt: »Ach, wissen Sie, ich habe da gerade einen Artikel von einem Herrn Lumma gelesen …«