Betrachtet man die Visionen zum Fernsehen der Zukunft, wie auch wir dies regelmäßig auf unserem Blog tun – zum Beispiel hier oder auch hier –, dann ist immer wieder die Rede von Neuentwicklungen und der notwendigen Aktivierung der Zuschauer.

Second Screen werde kommen, aktive Auswahl und Fernsehen on demand ein Muss, multimediale Markenverlängerung durch bi- oder gar trimediale Formate ein Standard, denn die Begleitung der Programme im Internet sei ohnehin zukünftig nicht mehr wegzudenken, heißt es da.

Das alles ist sicher richtig, aber in jüngster Zeit habe ich den Eindruck, dass die vielen technologischen Entwicklungen uns teilweise den Blick verstellen. Denn im Kern ist die Zukunft des Fernsehens vor allem eines: Fernsehen!

„Die Story klingt durchaus interessant, aber einfach nur im internet? Das war sogar mir als Vielsurfer zu wenig. … Wenn ich vorher den Film hätte sehen dürfen, wären die Internet-Inhalte spannender gewesen.“
(Zitat eines Teilnehmers an qualitativer Studie zu trimedialem Fernsehformat)

Klassische Programmangebote werden nach wie vor von Millionen von Zuschauern genutzt. Die Menschen schalten am Abend nach wie vor in erster Linie das Fernsehgerät ein – nicht das Internet, nicht den DVD-Player und (leider) am wenigsten das Radio. Und das hat Gründe, die wir in der Medienforschung schon lange kennen. Der Zuschauer möchte demnach zum Beispiel

  • vom Alltag abschalten, mal nichts tun und sich einfach berieseln lassen.
  • unterhalten werden, ohne involviert zu sein.
  • in Traumwelten abschweifen.
  • sich informieren.
  • Spaß haben.
  • oder auch einfach nur freie Zeit füllen.

Dieses Bild vom „Fernsehen als das moderne Lagerfeuer im Wohnzimmer“ ist ein altes. Schon Marshall McLuhan wusste: „Das Medium ist die Massage.“ Und so ist es! Fernsehen bedeutet erst einmal nicht mehr, als das Versprechen auf einen gemütlichen Abend.

Derzeit habe ich allerdings den Eindruck, dass genau diese Kernkompetenzen des Fernsehens im Zuge von Neuentwicklungen und Trends sehr vernachlässigt werden. Um dem viel zitierten Bedeutungsverlust des Fernsehens entgegenzuwirken, werden neue interaktive, multimediale Formate entwickelt, die einer mobilen „Always on“-Nutzung gerecht werden sollen. Das ist notwendig, hochgradig wichtig und auch richtig.

Fraglich ist nur, ob man nicht neben diesen neuen Technologien und Nutzungsformen auch mal einen Blick auf das gute alte Fernsehen selbst werfen sollte: Ist das dortige Angebot noch zeitgemäß? Ist es noch attraktiv? Und falls nicht: Was erwarten die Zuschauer vom Fernsehen der Zukunft, also rein inhaltlich?

„Ich hätte jetzt nicht wegen der Internetseite die Fernsehserie angeschaut.“
(Zitat eines Teilnehmers an qualitativer Studie zu trimedialem Fernsehformat)

Die „Krise“ des Fernsehens, möchte man die derzeitigen Umbrüche denn überhaupt als solche verstehen, haben meiner Überzeugung nach eher redaktionelle als technische Ursachen. Man wendet sich ab, weil man es kann, und es gibt wenig, was einen hält. Denn Fernsehen hat sich zum „Bügelmedium“ entwickelt, zum Werbeplatz mit wenig relevanter Programmumrahmung. In dieser Entwicklung hin zum Nebenbei-Medium, die sich aus der Vormittags- und Nachmittagsnutzung von Fernsehen ergeben und inzwischen auch in den Abend hinein verbreitet hat, sehe ich die Kernschwierigkeit für das „Fernsehen der Zukunft“.

Denn ähnlich wie beim Radio ist es für das Medium zwar von entscheidender Bedeutung, in der Community und im Netz eine Rolle zu spielen. Die reale Nutzung jedoch begründet sich nicht in neuen Möglichkeiten, sondern vor allem im Programm.

„Ich liebe weiterführende Websites zu Filmen und Serien, aber bitte erst NACHDEM ich diese gesehen habe. Bzw. wenn vorher, dann zum heiß machen auf den Film, also als gute Werbung!“
(Zitat eines Teilnehmers an qualitativer Studie zu trimedialem Fernsehformat)

Der Zuschauer der Zukunft verändert sich nicht durch die sich wandelnde Angebotswelt. Was sich verändert, ist sein Nutzungsverhalten. Er hat nach wie vor dieselben Motive und Interessen, aber er hat deutlich mehr Möglichkeiten, diese auch zu befriedigen.

So ist man beispielsweise nach wie vor an Ratgebern und Service interessiert, hat aber unlängst erkannt, dass das Fernsehen für diese Themen höchstens die zweitbeste Wahl ist nach dem Internet. Man ist auch nach wie vor an aktuellen Kinofilmen interessiert, aber wenn finanziell möglich, dann doch bitte werbefrei aus der Onlinevideothek. Das Fernsehen muss sich mit diesen Verschiebungen inhaltlicher Art deutlich mehr auseinandersetzen und daraus lernen. Die „daytime“-Problematik der Privatsender macht das deutlich.

Es geht somit nicht um die Frage, wie man Fernsehen künftig verbreitet, sondern was man dort anbietet. Die Antwort auf diese Frage liegt meist im eigenen Haus (sprich im Markenkern) verborgen. Dort nachzuschauen, wenn man die Zukunft sucht, lohnt sich!

Weiterführender Artikel zum Thema:

„Second Screen bei Wetten dass: Mehr Schaden als Nutzen“

Ein Artikel von Sabine Haas zum neuen Social-Media-Konzept der ZDF-Sendung