Gerade habe ich einen Beitrag in der Capital gelesen, der das Thema »Balance-Hype« kritisch hinterfragt. Tenor ist, dass wir uns viel zu oft an Vorbildern orientieren, die scheinbar alles miteinander vereinbaren können: Sport, Familie, Beruf, ein gesundes Leben etc. Und das wir uns extrem unter Druck setzen, diesen „Vorbildern“ nachzueifern.

Ich finde diese Gedanken sehr treffend. Ich glaube aber nicht, dass die prominenten Vorbilder den stärksten „Druck“ auf uns ausüben. Ich glaube eher, dass sich dieser Druck sehr stark auch durch die Teilnahme an Social-Media-Netzwerken aufbaut. Mir jedenfalls geht es so: Wenn ich in meine Timeline schaue, dann sehe ich Menschen an interessanten Orten, sehe berufstätige Mütter ihre selbst gebackenen Kekse dekorieren, sehe Power-Frauen von ihren abendlichen Ausritten erzählen etc. Und ich selbst bin auch nicht anders: Da gibt es Fotos von meinem selbst gebackenen Brot, Posts zu meiner Tätigkeit als Hochschuldozentin usw.

Insgesamt hatten wir noch nie so viel Einblick in verschiedene Lebensentwürfe. Und stellen fest: Einer ist spannender als der andere. Dies führt unweigerlich dazu, dass man vielem nacheifern möchte und sich fragt, warum man es selbst nicht auch schafft, alles das, was es so an Spannendem gibt, zu tun.

Dabei sollte uns eines klar sein: Wir sehen auf Facebook & Co natürlich nur die positiven Seiten eines jeden Lebensentwurfs – und das ist gut so. Kaum jemand postet, dass er sich seit Tagen von Fertigpizza ernährt, weil er es nicht auf die Reihe bekommt zu kochen. Niemand erzählt in seiner Timeline, dass er jetzt schon das dritte Mal in Folge die Reitbeteiligung zum Einspringen überreden musste. Und von Beziehungskrisen liest man auch eher selten.

Das Posten ist Posen. Das ist immer und bei jedem so. Einer kann das besser, der andere weniger gut. Aber allen ist gemeinsam: Man möchte positiv dastehen in seiner Timeline. Facebook ist das Fenster zur Welt (zumindest zu Nachbarn und Freunden), und wenn ich gerade Geschirr an die Wand werfe, dann ziehe ich – wenn möglich – vorher die Vorhänge vor.

Dieses Posing finde ich auch keineswegs negativ. Im Gegenteil: Bleibt mir bloß weg mit dem, was bei Euch schief läuft! In den sozialen Netzwerken würden mich menschliche Probleme, Krisen, Unzulänglichkeiten deutlich überfordern. Die möchten wir alle gar nicht sehen. Zumindest nicht dort und in solch flüchtigen Nutzungssituationen. Ich persönlich hoffe jedenfalls sehr, dass Freunde, die meiner Hilfe bedürfen, mich nach wie vor anrufen oder besuchen, sodass ich mir richtig Zeit für sie nehmen kann.

Alles in allem gilt also: Ein kompetenter Umgang mit Social-Media-Netzwerken bedeutet auch, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, was dort nicht erscheint. Und sich klar zu machen, dass der eigene Lebensentwurf andere wahrscheinlich genauso beeindruckt, wie man umgekehrt beeindruckt wird. Also: Locker bleiben, nicht stressen lassen und – wie in dem Artikel sehr eindrucksvoll beschrieben – Entscheidungen treffen.